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Was macht eigentlich ein Psychotherapeut?



Ich werde immer wieder gefragt, wie man Psychotherapeut wird und was genau ein Psychotherapeut überhaupt so macht. Für alle, die sich dafür interessieren, habe ich hier meinen Arbeitsalltag aufgeschrieben, um einen Einblick zu ermöglichen. Die meisten denken beim Wort Psychotherapie eher an Woody Allen - Filme, an eine rote Couch und einen alten bärtigen Mann, der ständig bedächtig "Mhm" sagt. Die moderne Psychotherapie sieht aber ganz anders aus. Psychotherapie ist kein Kaffeeplausch sondern die Anwendung von wissenschaftlich überprüften und in der Erfahrung bewährten Techniken zur Linderung und Heilung von psychischen Störungen.

Weitere Informationen
Wie man Psychotherapeut wird, werde ich in einem der nächsten Texte beschreiben.

Einen kurzen Einblick wie eine Stunde konkret abläuft und was in einer Psychotherapie passiert, habe ich hier beschrieben.

Was der Unterschied zwischen Psychotherapeuten, Psychologen, Psychiatern und anderen Psycho-Berufen ist, habe ich im Wegweiser Psycho-Begriffe kurz zusammengefasst.

Informationen zum grundlegenden Beruf Psychologe finden sich in einem Text des Berufsverbands deutscher Psychologen im Berufsbild Psychologe-PDF.


Fachbegriffs-Erklärung
Probatorik = Kennenlern-Stunden vor der eigentlichen Therapie (PatientInnen müssen prüfen, ob sie sich den TherapeutInnen ggü. öffnen können, die TherapeutInnen müssen in den 5 Stunden herausfinden was genau das Problem ist und wie der Behandlungsplan aussehen soll)

ambulante Psychotherapie = Behandlung in einer Praxis im Unterschied zu einer stationären Behandlung = Behandlung in einer Klinik

Was ein Psychotherapeut genau macht, hängt natürlich davon ab, wo er arbeitet. In einer Klinik sieht der Alltag anders aus als in einer Beratungsstelle oder einer Praxis. Der Arbeitsalltag in einer Justizvollzugsanstalt wird in einem Beitrag von Deutschland Radio Kultur beschrieben.

Die meisten Psychotherapeuten arbeiten in einer Praxis. Hier sieht mein Alltag für gewöhnlich so oder ähnlich aus:


Der Morgen beginnt für mich mit der Durchsicht der Post und eMails, auch Artikel aus den Fachzeitschriften und den Berufsverbänden müssen gelesen werden, um auf dem Laufenden zu bleiben. In diese Zeit habe ich auch meine Telefonsprechstunde gelegt. Neue Patienten rufen an und wollen sich über die Therapie, die Warteliste und meine Person informieren. Zudem müssen eventuelle Terminabsagen der Patienten im Kalender koordiniert werden.

Neben der reinen "Sprechzeit" mit den Patienten muss auch eine Menge Aktenkram erledigt werden:

  • das Wichtigste der Gespräche muss in der Akte dokumentiert werden (um z.B. bei Problemen Behandlungsfehler nachweisen oder ausschließen zu können), 
  • die Therapie muss nach den Probatorik1-(d.h. Kennenlern-)Stunden beim Kostenträger (also z.B. gesetzliche Krankenkassen oder private Versicherungen, Beihilfestellen, Berufsgenossenschaften, Bundeswehr) beantragt werden (d.h. Formulare ausfüllen und ein 2-3 seitiges Gutachten schreiben, in dem die relevante Lebensgeschichte des Patienten, Entstehung und Verlauf der psychischen Störung, relevante Einflussfaktoren und der Behandlungsplan zusammengefasst werden müssen - was harte Arbeit ist, denn ein ganzes Leben inklusive Störungsanalyse und Behandlungsplan auf drei Seiten zusammenzufassen braucht gewissenhaft gemacht schon mehr als eine Stunde und wird aber kaum angemessen vergütet),
  • manchmal müssen Bescheinigungen geschrieben werden
  • und auch Materialien für die Stunden wie Informations- oder Übungsblätter müssen vorbereitet werden.
  • Und irgendwann muss die Abrechnung erstellt werden. Für die Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenversicherung bzw. der kassenärztlichen Vereinigung übernimmt das zwar das Abrechnungsprogramm, aber z.B. die Rechnungen für Privatpatienten und Selbstzahler müssen für den Zahlungsdienstleister, der säumige Zahler mahnt, nochmal überprüft werden.

Dies alles kostet auch Zeit, so dass in einer 40-Stunden-Woche nicht wirklich 40 Patienten behandelt werden können. Auch wenn Patienten zu kurzfristig absagen, bleibt die Stunde leer wenn der Termin nicht mehr an jemand anderes vergeben werden kann. Da ja die Praxiskosten trotzdem weiterlaufen wird eine zu spät abgesagte Therapiestunde von den meisten TherapeutInnen in Rechnung gestellt (die Höhe variiert, ich nehme den 1,0 fachen Satz der Gebührenordnung für Psychotherapeuten mit ca. 43€).

Die Bezahlung der therapeutischen Leistung ist in der Gebührenordnung für Psychotherapeuten (GOP) geregelt. Allerdings gelten im gesetzlichen Krankenkassensystem eigene (niedrigere) Sätze. Für eine Einzelbehandlung Verhaltenstherapie wird nach GOP (mit dem üblichen 2,3fachen Satz) 100,55€, bei einer Kassentherapie ca. 87€ (in den ersten 5 probatorischen Sitzungen sogar nur 67€) in Rechnung gestellt. Hiervon gehen dann ab: Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, Altersvorsorge, Versicherungen wie Berufshaftpflicht, Beiträge zur Psychotherapeutenkammer und zu Berufsverbänden, Praxiskosten (Miete, Heizung, Praxissoftware, Möbel, Reinigung, Porto), Fortbildungsausgaben, usw. Wieviel dann letztendlich im Portemonnaie übrig bleibt ist sehr unterschiedlich, da nicht nur die Ausgaben schwanken, sondern auch die Einnahmen: bei Urlaub, Krankheit, Fortbildung gibt es keine Einnahmen und nicht jeder privat Versicherte oder Selbstzahler zahlt auch wirklich (pünktlich). In Anbetracht der langen und teuren Ausbildungszeit, der hohen Verantwortung und der vielen rechtlichen Anforderungen an Psychotherapeuten ist das insgesamt meist ein unerwartet geringer Betrag.

Dafür ist die Arbeit toll.

Wie sieht die Arbeit mit Patienten nun aus? Die häufigsten Gründe, weswegen Menschen zum Psychotherapeuten gehen sind depressive Symptome wie Antriebsarmut, langanhaltender Verlust der Lebensfreude, Grübelschleifen bis hin zu Selbstmordgedanken. Aber auch Angststörungen wie Panikattacken, Angst vor sozialen Kontakten oder Phobien kommen recht häufig vor.
Leider kommen Menschen mit schizophrenen Psychosen kaum in eine ambulante Therapie. "Leider" deshalb, weil die Therapie-Leitlinien inzwischen auch bei Psychosen eine ambulante Therapie1 empfehlen und ich in meiner Arbeit in der psychiatrischen Klinik sehe, wie Menschen mit psychotischen Erkrankungen von behutsamer verhaltenstherapeutischer Therapie profitieren.
Manchmal spielen auch Persönlichkeitsstörungen in der ambulanten Praxis eine Rolle. Das sind sozusagen Filter vor der Wahrnehmung, die zu Problemen im Umgang mit anderen Menschen führen. Bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind die Patienten sehr sensibel und versuchen sich in einem extrem guten Licht darzustellen, um eigene Unzulänglichkeiten zu kompensieren (sie glauben sie wären die Tollsten und reagieren schnell gekränkt, was zu einseitigen Beziehungen und vielen seelischen Verletzungen führt). Bei der selbstunsicheren Persönlichkeit lässt der Filter nur das eigene Versagen durch und die Patienten trauen sich kaum etwas zu. Bei der paranoiden Persönlichkeitsstörung glauben die Patienten, dass alle ihnen etwas Böses wollen. Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung neigen zu extremen Verhalten, mitunter auch zu Kurzschlusshandlungen. Bei vielen Patienten spielen traumatische Erfahrungen im Leben eine Rolle. Traumata können extreme einzelne Ereignisse sein wie Miterleben von Lebensbedrohung und Sterben (z.B. bei Soldaten oder nach Unfällen), Vergewaltigungen oder Gewalterfahrung. Es können aber auch "nicht so heftige" Ereignisse wie Vernachlässigung, medizinische Eingriffe oder Mobbing sein, die über einen längeren Zeitraum anhalten (also chronisch wirken). Zum Glück entwickelt nicht jeder, der so etwas erleidet, auch eine Posttraumatische Belastungsstörung. Damit eine Trauma-Folgestörung entsteht, muss das Erlebnis für die Person mit extremer Hilfslosigkeit verbunden sein und kann durch andere nicht aufgefangen werden. Dies ist z.B. bei kleinen Kindern der Fall, wenn die Eltern wegen eigener Probleme nicht angemessen auf die Ängste des Kindes reagieren oder bei Erwachsenen, wenn schon kleinere unverarbeitete Traumata in der Vorgeschichte vorliegen. Die Patienten leiden oft unter starker Anspannung, Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen oder Alpträume), Schreckhaftigkeit oder haben Probleme zu vertrauen und zu entspannen.

Auf all das muss sich einE PsychotherapeutIn einstellen. Erst wenn es gelungen ist, eine stabile therapeutische Beziehung aufzubauen, können sich Patienten auf die einzelnen therapeutischen Techniken und Übungen so einlassen, dass dauerhafte Heilung erzielt werden kann. Natürlich wird das in einer guten Ausbildung zum Psychotherapeuten vermittelt - allerdings ist die Fähigkeit der Beziehungsgestaltung kein Zulassungskriterium. Wie bei Ärzten und anderen Berufen gibt es also Therapeuten, die sich auf ihre Patienten und Kunden einstellen können und solche, die das nicht so gut können.

Und hier liegen auch die Gefahren des Therapeuten-Berufs: Wer nicht gut ausgebildet ist, kann von dem Leid der PatientInnen selbst traumatisiert werden. Und wer sich nicht so gut auf seine PatientInnen einstellen kann, wird nur bei solchen PatientInnen dauerhafte Erfolge erzielen, wo es zufälliger Weise passt. Das bedeutet aber, dass es auch viele Behandlungen geben wird, die PatientInnen und BehandlerInnen frustrieren werden. Wenn sich die PatientInnen nicht verstanden und akzeptiert fühlen, glauben sie nicht an den Sinn und Erfolg von Therapiebausteinen und werden sie nicht wie geplant umsetzen. Das ist genau wie bei den Tonnen an Medikamenten, die in der Toilette oder im Mülleimer landen, weil die ÄrtzInnen den PatientInnen nicht genau zugehört haben und die Bedenken nicht entkräften konnten oder die PatientInnen nicht richtig über den Sinn und die korrekte Einnahme aufgeklärt wurden.
Mit der Zeit werden die anfangs noch sehr motivierten TherapeutInnen dann immer frustrierter und härter. Sie klammern an sich an das Lehrbuch ohne den individuellen Menschen wahrzunehmen und brennen irgendwann aus, weil sie helfen aber immer wieder erleben, dass sie dauerhaft nichts erreichen. Wer jetzt nicht Hilfe in der Supervision (beratende Gespräche mit dafür ausgebildeten KollegInnen) sucht, sondern seinen PatientInnen die Schuld in die Schuhe schiebt ("Die wollen nicht gesund werden."), der rutscht in der Abwärtsspirale immer weiter nach ab. Unter den Ärzten haben die Psychiater mit die höchste Suizidrate (siehe z.B. "Kranke Helfer" http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-61366572.html), bei Psychotherapeuten, die gut ausgebildet sind und sich von KollegInnen supervidieren lassen, ist diese Rate aber deutlich niedriger.

Und das ist das Schöne am Beruf: Wer nach den modernen wissenschaftichen Verfahren darin ausgebildet ist, Menschen zu helfen und dabei nicht abzustumpfen, kann mit seinen PatientInnen wachsen, kann sich beruflich mit Resilienz (="wie bleibt man trotz widriger Umstände psychisch gesund"), Achtsamkeit, Glücklichsein usw. beschäftigen und hat jeden Tag mit interessanten Menschen und spannenden Herausforderungen zu tun.
Ich werde immer wieder gefragt, wie ich das aushalte, jeden Tag so viel Leid zu hören. Ich sage dann, dass ich das nur kann, weil ich weiß, wie es sich verändern lässt. Wer sich als gut ausgebildeter Psychotherapeut wirklich auf den Menschen einlassen kann und sein Problem richtig versteht, der kann mit den PatientInnen passende Lösungen entwickeln und ihnen zeigen, wie sie ihr Leiden zum Positiven verändern können. Dieses schöne Gefühl der Befreiung erreicht man natürlich nicht in jeder Sitzung. Viele Probleme brauchen zwischen 25 und 80 Sitzungen, bis sie stabil bearbeitet und wirklich gelöst sind. PatientInnen, die sich von kleinster Kindheit als Last und Versager erlebt haben, müssen erst Vertrauen aufbauen, um neue Erfahrungen zulassen und abspeichern zu können. Das braucht Zeit. Aber der Weg dahin wird von Sitzung zu Sitzung etwas einfacher, bis irgendwann der Durchbruch erreicht wird und die PatientInnen ihren eigenen Weg gehen und das Leben wieder genießen können. Das lohnt jede Anstrengung und macht die Psychotherapie zu einem der schönsten Berufe der Welt.




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