Was ein Psychotherapeut genau
macht, hängt natürlich davon ab, wo er arbeitet. In einer
Klinik sieht der Alltag anders aus als in einer
Beratungsstelle oder einer Praxis. Der Arbeitsalltag in einer Justizvollzugsanstalt wird in einem Beitrag von Deutschland Radio Kultur beschrieben.
Die meisten Psychotherapeuten arbeiten in einer Praxis. Hier sieht mein
Alltag für gewöhnlich so oder ähnlich aus:
Der Morgen beginnt für mich
mit der Durchsicht der Post und eMails, auch Artikel aus den
Fachzeitschriften und den Berufsverbänden müssen gelesen
werden, um auf dem Laufenden zu bleiben. In diese Zeit habe
ich auch meine Telefonsprechstunde gelegt. Neue Patienten
rufen an und wollen sich über die Therapie, die Warteliste und
meine Person informieren. Zudem müssen eventuelle
Terminabsagen der Patienten im Kalender koordiniert werden.
Neben der reinen "Sprechzeit" mit den Patienten muss auch
eine Menge Aktenkram erledigt werden:
- das Wichtigste der Gespräche muss in der Akte dokumentiert
werden (um z.B. bei Problemen Behandlungsfehler nachweisen
oder ausschließen zu können),
- die Therapie muss nach den Probatorik1-(d.h.
Kennenlern-)Stunden beim Kostenträger (also z.B. gesetzliche
Krankenkassen oder private Versicherungen, Beihilfestellen,
Berufsgenossenschaften, Bundeswehr) beantragt werden (d.h.
Formulare ausfüllen und ein 2-3 seitiges Gutachten
schreiben, in dem die relevante Lebensgeschichte des
Patienten, Entstehung und Verlauf der psychischen Störung,
relevante Einflussfaktoren und der Behandlungsplan
zusammengefasst werden müssen - was harte Arbeit ist, denn
ein ganzes Leben inklusive Störungsanalyse und
Behandlungsplan auf drei Seiten zusammenzufassen braucht
gewissenhaft gemacht schon mehr als eine Stunde und wird
aber kaum angemessen vergütet),
- manchmal müssen Bescheinigungen geschrieben werden
- und auch Materialien für die Stunden wie Informations-
oder Übungsblätter müssen vorbereitet werden.
- Und irgendwann muss die Abrechnung erstellt werden. Für
die Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenversicherung bzw.
der kassenärztlichen Vereinigung übernimmt das zwar das
Abrechnungsprogramm, aber z.B. die Rechnungen für
Privatpatienten und Selbstzahler müssen für den
Zahlungsdienstleister, der säumige Zahler mahnt, nochmal
überprüft werden.
Dies alles kostet auch Zeit, so dass in einer
40-Stunden-Woche nicht wirklich 40 Patienten behandelt werden
können. Auch wenn Patienten zu kurzfristig absagen, bleibt die
Stunde leer wenn der Termin nicht mehr an jemand anderes
vergeben werden kann. Da ja die Praxiskosten trotzdem
weiterlaufen wird eine zu spät abgesagte Therapiestunde von
den meisten TherapeutInnen in Rechnung gestellt (die Höhe
variiert, ich nehme den 1,0 fachen Satz der Gebührenordnung
für Psychotherapeuten mit ca. 43€).
Die Bezahlung der therapeutischen
Leistung ist in der Gebührenordnung für Psychotherapeuten (GOP)
geregelt. Allerdings gelten im gesetzlichen
Krankenkassensystem eigene (niedrigere) Sätze. Für eine
Einzelbehandlung Verhaltenstherapie wird nach GOP (mit dem
üblichen 2,3fachen Satz) 100,55€, bei einer Kassentherapie
ca. 87€ (in den ersten 5 probatorischen Sitzungen sogar nur 67€)
in Rechnung gestellt. Hiervon gehen dann ab: Steuern und
Sozialversicherungsbeiträge, Altersvorsorge, Versicherungen
wie Berufshaftpflicht, Beiträge zur Psychotherapeutenkammer
und zu Berufsverbänden, Praxiskosten (Miete, Heizung,
Praxissoftware, Möbel, Reinigung, Porto),
Fortbildungsausgaben, usw. Wieviel dann letztendlich im
Portemonnaie übrig bleibt ist sehr unterschiedlich, da nicht
nur die Ausgaben schwanken, sondern auch die Einnahmen: bei
Urlaub, Krankheit, Fortbildung gibt es keine Einnahmen und
nicht jeder privat Versicherte oder Selbstzahler zahlt auch
wirklich (pünktlich). In Anbetracht der langen und teuren
Ausbildungszeit, der hohen Verantwortung und der vielen
rechtlichen Anforderungen an Psychotherapeuten ist das
insgesamt meist
ein unerwartet geringer Betrag.
Dafür ist die Arbeit toll.
Wie sieht die Arbeit mit
Patienten nun aus? Die häufigsten Gründe, weswegen Menschen zum
Psychotherapeuten gehen sind depressive Symptome wie
Antriebsarmut, langanhaltender Verlust der Lebensfreude,
Grübelschleifen bis hin zu Selbstmordgedanken. Aber auch
Angststörungen wie Panikattacken, Angst vor sozialen Kontakten
oder Phobien kommen recht häufig vor.
Leider kommen Menschen mit schizophrenen Psychosen kaum in eine
ambulante Therapie. "Leider" deshalb, weil die
Therapie-Leitlinien inzwischen auch bei Psychosen eine ambulante
Therapie
1
empfehlen und ich in meiner Arbeit in der psychiatrischen Klinik
sehe, wie Menschen mit psychotischen Erkrankungen von behutsamer
verhaltenstherapeutischer Therapie profitieren.
Manchmal spielen auch Persönlichkeitsstörungen in der ambulanten
Praxis eine Rolle. Das sind sozusagen Filter vor der
Wahrnehmung, die zu Problemen im Umgang mit anderen Menschen
führen. Bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind die
Patienten sehr sensibel und versuchen sich in einem extrem guten
Licht darzustellen, um eigene Unzulänglichkeiten zu kompensieren
(sie glauben sie wären die Tollsten und reagieren schnell
gekränkt, was zu einseitigen Beziehungen und vielen seelischen
Verletzungen führt). Bei der selbstunsicheren Persönlichkeit
lässt der Filter nur das eigene Versagen durch und die Patienten
trauen sich kaum etwas zu. Bei der paranoiden
Persönlichkeitsstörung glauben die Patienten, dass alle ihnen
etwas Böses wollen. Patienten mit
Borderline-Persönlichkeitsstörung neigen zu extremen Verhalten,
mitunter auch zu Kurzschlusshandlungen. Bei vielen Patienten
spielen traumatische Erfahrungen im Leben eine Rolle. Traumata
können extreme einzelne Ereignisse sein wie Miterleben von
Lebensbedrohung und Sterben (z.B. bei Soldaten oder nach
Unfällen), Vergewaltigungen oder Gewalterfahrung. Es können aber
auch "nicht so heftige" Ereignisse wie Vernachlässigung,
medizinische Eingriffe oder Mobbing sein, die über einen
längeren Zeitraum anhalten (also chronisch wirken). Zum Glück
entwickelt nicht jeder, der so etwas erleidet, auch eine
Posttraumatische Belastungsstörung. Damit eine
Trauma-Folgestörung entsteht, muss das Erlebnis für die Person
mit extremer Hilfslosigkeit verbunden sein und kann durch andere
nicht aufgefangen werden. Dies ist z.B. bei kleinen Kindern der
Fall, wenn die Eltern wegen eigener Probleme nicht angemessen
auf die Ängste des Kindes reagieren oder bei Erwachsenen, wenn
schon kleinere unverarbeitete Traumata in der Vorgeschichte
vorliegen. Die Patienten leiden oft unter starker Anspannung,
Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen oder Alpträume),
Schreckhaftigkeit oder haben Probleme zu vertrauen und zu
entspannen.
Auf all das muss sich einE PsychotherapeutIn einstellen. Erst
wenn es gelungen ist, eine stabile therapeutische Beziehung
aufzubauen, können sich Patienten auf die einzelnen
therapeutischen Techniken und Übungen so einlassen, dass
dauerhafte Heilung erzielt werden kann. Natürlich wird das in
einer guten Ausbildung zum Psychotherapeuten vermittelt -
allerdings ist die Fähigkeit der Beziehungsgestaltung kein
Zulassungskriterium. Wie bei Ärzten und anderen Berufen gibt es
also Therapeuten, die sich auf ihre Patienten und Kunden
einstellen können und solche, die das nicht so gut können.
Und hier liegen auch die
Gefahren
des Therapeuten-Berufs: Wer nicht gut ausgebildet ist, kann von
dem Leid der PatientInnen selbst traumatisiert werden. Und wer
sich nicht so gut auf seine PatientInnen einstellen kann, wird
nur bei solchen PatientInnen dauerhafte Erfolge erzielen, wo es
zufälliger Weise passt. Das bedeutet aber, dass es auch viele
Behandlungen geben wird, die PatientInnen und BehandlerInnen
frustrieren werden. Wenn sich die PatientInnen nicht verstanden
und akzeptiert fühlen, glauben sie nicht an den Sinn und Erfolg
von Therapiebausteinen und werden sie nicht wie geplant
umsetzen. Das ist genau wie bei den Tonnen an Medikamenten, die
in der Toilette oder im Mülleimer landen, weil die ÄrtzInnen den
PatientInnen nicht genau zugehört haben und die Bedenken nicht
entkräften konnten oder die PatientInnen nicht richtig über den
Sinn und die korrekte Einnahme aufgeklärt wurden.
Mit der Zeit werden die anfangs noch sehr motivierten
TherapeutInnen dann immer frustrierter und härter. Sie klammern
an sich an das Lehrbuch ohne den individuellen Menschen
wahrzunehmen und brennen irgendwann aus, weil sie helfen aber
immer wieder erleben, dass sie dauerhaft nichts erreichen. Wer
jetzt nicht Hilfe in der Supervision (beratende Gespräche mit
dafür ausgebildeten KollegInnen) sucht, sondern seinen
PatientInnen die Schuld in die Schuhe schiebt ("Die wollen nicht
gesund werden."), der rutscht in der Abwärtsspirale immer weiter
nach ab. Unter den Ärzten haben die Psychiater mit die höchste
Suizidrate (siehe z.B. "
Kranke
Helfer"
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-61366572.html), bei
Psychotherapeuten, die gut ausgebildet sind und sich von
KollegInnen supervidieren lassen, ist diese Rate aber deutlich
niedriger.
Und das ist das
Schöne am
Beruf: Wer nach den modernen wissenschaftichen Verfahren darin
ausgebildet ist, Menschen zu helfen und dabei nicht
abzustumpfen, kann mit seinen PatientInnen wachsen, kann sich
beruflich mit Resilienz (="wie bleibt man trotz widriger
Umstände psychisch gesund"), Achtsamkeit, Glücklichsein usw.
beschäftigen und hat jeden Tag mit interessanten Menschen und
spannenden Herausforderungen zu tun.
Ich werde immer wieder gefragt, wie ich das aushalte, jeden Tag
so viel Leid zu hören. Ich sage dann, dass ich das nur kann,
weil ich weiß, wie es sich verändern lässt. Wer sich als gut
ausgebildeter Psychotherapeut wirklich auf den Menschen
einlassen kann und sein Problem richtig versteht, der kann mit
den PatientInnen passende Lösungen entwickeln und ihnen zeigen,
wie sie ihr Leiden zum Positiven verändern können. Dieses
schöne Gefühl der Befreiung erreicht man natürlich nicht in
jeder Sitzung. Viele Probleme brauchen zwischen 25 und 80
Sitzungen, bis sie stabil bearbeitet und wirklich gelöst sind.
PatientInnen, die sich von kleinster Kindheit als Last und
Versager erlebt haben, müssen erst Vertrauen aufbauen, um neue
Erfahrungen zulassen und abspeichern zu können. Das braucht
Zeit. Aber der Weg dahin wird von Sitzung zu Sitzung etwas
einfacher, bis irgendwann der Durchbruch erreicht wird und die
PatientInnen ihren eigenen Weg gehen und das Leben wieder
genießen können. Das lohnt jede Anstrengung und macht die
Psychotherapie zu einem der schönsten Berufe der Welt.