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Was passiert eigentlich in einer guten Psychotherapie?



Psychische Störungen spielen in unserer Gesellschaft eine immer größere Rolle. Die Krankschreibungstage aufgrund psychischer Erkrankungen steigen rasant an und immer wieder tauchen Begriffe wie psychisch krank, Psychopharmaka und andere Psycho-Begriffe im Zusammenhang mit schlimmen Ereignissen in den Medien auf, z.B. beim erweiterten Suizid von Andreas L., der ein Flugzeug absichtlich gegen einen Berg steuerte und damit viele unschuldige Menschen in den selbstgewählten Tod mitnahm.

Leider tragen manche Medien durch unsaubere Berichterstattungen zur Begriffsverwirrung und damit zu Vorurteilen der Psychotherapie gegenüber bei. So wird behauptet, Andreas L. sei in Psychotherapie gewesen, weil ein Glückstagebuch gefunden wurde. Am Ende des Artikels wird dann berichtet, dass er bei 40 Ärzten (kein einziger Psychotherapeut wird erwähnt) in Behandlung gewesen sei und ihm sein Psychiater (=kein Psychotherapeut!) neben dem Glückstagebuch auch Anti-Depressiva verschrieben habe. Eine Psychotherapie ist aber etwas anderes als eine psychiatrische Behandlung und ein Glückstagebuch kein Hinweis auf eine fachmännische Psychotherapie. Solche fehlerhafte Meldungen verstärken unterschwellig die vorhandenen (und sich nicht selten widersprechenden) Vorurteile: Psychotherapie bringt nichts; psychisch Kranke sind verrückt und müssen sich nur zusammenreißen; Psychotherapie ist nichts weiter als Streicheleinheiten für die Seele; jeder ist doch depressiv; Psychologen haben doch selber einen an der Klatsche und reden den Leuten nur ein dass sie krank sind...

Es gibt durchaus einige Versuche von psychotherapeutischen Berufsverbänden, dem entgegenzuwirken. Aber aus meiner Sicht zu wenig und zu zaghaft. Ich glaube, mehr PsychotherpeutInnen müssten sich beteiligen und aufklären. Hierzu möchte ich meinen Beitrag leisten.


Weitere Informationen
Wie man Psychotherapeut wird, werde ich in einem der nächsten Texte beschreiben.

Einen kurzen Einblick wie der formale Arbeitsalltag eines Psychotherapeuten aussieht, habe ich hier beschrieben.

Was der Unterschied zwischen Psychotherapeuten, Psychologen, Psychiatern und anderen Psycho-Berufen ist, habe ich im Wegweiser Psycho-Begriffe kurz zusammengefasst.

Informationen zum grundlegenden Beruf Psychologe finden sich in einem Text des Berufsverbands deutscher Psychologen im Berufsbild Psychologe-PDF.


Fachbegriffs-Erklärung
Probatorik = Kennenlern-Stunden vor der eigentlichen Therapie (PatientInnen müssen prüfen, ob sie sich den TherapeutInnen ggü. öffnen können, die TherapeutInnen müssen in den 5 Stunden herausfinden was genau das Problem ist und wie der Behandlungsplan aussehen soll)

ambulante Psychotherapie = Behandlung in einer Praxis im Unterschied zu einer stationären Behandlung = Behandlung in einer Klinik

Psychische Störungen haben historisch und gesellschaftlich bedingt etwas Unheimliches. Früher wurden Menschen, die sich unvorhersehbar und unkontrollierbar verhielten in Fesseln gelegt oder irgendwann umgebracht, später wurden sie mit Medikamenten sediert, d.h. ruhig gestellt. So ist in den meisten Köpfen das Thema "Psychiatrie und Psychotherapie" verknüpft mit Wahnsinn (=Kontrollverlust) und dem "Wahnsinn gegenüber den Wahnsinningen" einer unmenschlichen psychiatrischen Behandlung (=Ruhigstellung) wie in "Einer flog übers Kuckucksnest". Man wusste sich früher leider nicht anders zu helfen, wenn Menschen dem "Wahn verfallen" waren und eine Gefahr für sich und andere darstellten.

Den Versuch, seelische Leiden wie unendliche Traurigkeit, nicht-reale Wahrnehmungen oder bizarres Verhalten zu heilen, gibt es wohl seit es Menschen gibt. In primitiven Kulturen sind Schamanen dafür zuständig, "verlorene Seelen" über Rituale wieder einzufangen; seit Urzeiten versuchen Menschen sich mit Hilfe von Drogen gegen Unruhe, Unkonzentriertheit oder Unglücklichsein zu therapieren; im Mittelalter wollte man durch den Aderlass die Körpersäfte ins Gleichgewicht bringen und schon vor 2000 Jahren arbeitete Sokrates mit geschickten Dialogen daran, Änderungen in krankmachenden Einstellungen zu bewirken.

Erst seit knapp 100 Jahren gibt es die Psychotherapie als eigenständige Wissenschaft, die versucht, den Zusammenhängen zwischen Körper, Gesellschaft und seelischem Erleben auf den Grund zu gehen. So wie es viele Jahre brauchte, bis aus der Alchemie die Wissenschaft Chemie wurde und diese erst die Atome und subatomaren Wahrscheinlichkeitszustände finden musste um die Zusammenhänge zu verstehen, so braucht es auch in der Psychotherapie noch viel Zeit und Forschung, um das Seelische besser zu verstehen. Aktuell wissen wir, dass seelisches Erleben von den Nervenzellen im Gehirn gestaltet wird. Dies hat man u.a. daraus geschlossen, dass Menschen nach einem Schlaganfall oder Unfall-Schäden in ganz bestimmten Hirnteilen plötzlich eine veränderte Wahrnehmung haben. Manche Hirnschäden führen z.B. dazu, dass die Betroffenen keine Gesichter mehr erkennen können, andere nehmen nur noch Ausschnitte von dem wahr was sie sehen oder können ihre Emotionen nicht mehr kontrollieren und fluchen ständig, obwohl sie das gar nicht wollen.
Mit der aktuellen modernen Technik können wir auch das Gehirn sichtbar machen und die Orte dieser Schäden lokalisieren. Allerdings ist die Technik immer noch nicht soweit, die Kommunikation einzelner Nervenzellen beobachten zu können, was für das Verständnis der Denkvorgänge nötig wäre. So gesehen sind wir da, wo die Chemie ungefähr war, als sie wusste dass es Atome gibt aber noch nicht, wie das Zusammenspiel der noch kleineren Bestandteile die Unterschiede in den Atomeigenschaften verursacht (z.B. warum sind manche Elemente magnetisch, andere aber nicht?).

Einer meiner Professoren im Studium sagte mal, "Wir wissen erst 20% von dem, was wir wissen müssen, um das Psychische wirklich zu verstehen". Glücklicherweise wissen wir mit den 20% aber schon genug, um psychisch kranken Menschen gut helfen zu können. In einigen Jahrzehnten wird das sicher viel effizienter und schneller gehen - heute braucht eine erfolgreiche Psychotherapie zwischen 25 und 100 Sitzungen, also ca. 6 Monate bis 3 Jahre. Aber die heutigen Psychotherapie-Techniken schon mal besser, als psychisch Kranke einzukerkern oder umzubringen. 

In diesem Text will ich davon berichten, was die Psychotherapie-Wissenschaft heute schon weiß, wie man psychische Erkrankungen behandelt und was man tun könnte, um psychische Störungen irgendwann vielleicht sogar ganz zu verhindern.


Ich beschreibe dazu einen fiktiven normalen Arbeitstag in der ambulanten Psychotherapie1, den ich zum besseren Verständnis didaktisch aufbereitet habe. Alle Informationen wurden aus Datenschutzgründen so verfremdet, dass ein Rückschluss auf die wahren Personen nicht mehr möglich ist.


Stunde 1: Aufklärung, Vertrauen und der Standard-Fall: Depression

Herr A. kommt zur ersten Stunde (Probatorik [siehe Fachbegriffs-Erklärung links]). Ich versuche zunächst einmal, die Stimmung etwas aufzulockern, da er sehr angespannt ist. Es wird deutlich, dass er einige Ängste und Vorurteile der Therapie gegenüber hat: muss man sich hier seelisch nackig machen? Wird man hier für verrückt erklärt? Ich kann ihn beruhigen. In einer Therapie bestimmt der Patient heutzutage selbst, was er erzählen und bearbeiten will. Wenn er über etwas nicht sprechen will, wird das respektiert. In der Verhaltenstherapie konzentriert man sich hauptsächlich auf die aktuell relevanten Probleme und versucht sie zu verändern. In der modernen Verhaltenstherapie nach der ich ausgebildet wurde, schaut man sich dazu auch die Geschichte an, warum ein Problem entstanden ist, was viele Patienten als sehr entlastend erleben, weil sie plötzlich verstehen, warum etwas so gekommen ist und sie wissen, dass ihr Problem sozusagen nicht aus heiterem Himmel entstanden ist. Dieses Verständnis des Problems zeigt dann den Weg, um es dauerhaft in den Griff zu bekommen. [In früheren Formen der Verhaltens-Therapie wurde die Geschichte oft außen vorgelassen, was dann zwar beim aktuellen Problem half, aber nicht bei anderen. Dadurch war die Rückfallrate bei diesen Therapien sehr hoch, was vielleicht den Eindruck erzeugte, dass Therapie generell nicht helfen würde. Zum Glück werden aber immer mehr Therapeuten nach den modernen Therapieformen ausgebildet oder bilden sich darin weiter.]

Als nächstes kläre ich den Patienten über Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie auf. Genau wie bei Medikamenten und Operationen hat jede Veränderung gewünschte Wirkungen, kann aber auch zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Beispiel: wenn ein Ziel der Therapie mehr Selbstbewusstsein ist und die Therapie erfolgreich ist, kann das Familien- und Beziehungssystem um den Patienten, das sich bisher ganz gut an die Unterwürfigkeit des Patienten gewöhnt hat, plötzlich irritiert reagieren. Es hat ja Gründe, warum der Patient bisher nicht wirklich nein sagen konnte. Wenn er es jetzt tut, wird das nicht jedem in seinem Umfeld gefallen. Das wiederum kann zu mehr Konflikten führen. Selbstverständlich ist es Teil der Therapie, auch hierfür Strategien zu entwickeln. Z.B. indem der Patient lernt, sein Nein so zu begründen, dass Kompromisse möglich werden. Langfristiges Ziel einer Therapie ist natürlich die Mitte. Wer zu sehr auf die eigenen Bedürfnisse fixiert war, wird lernen, die Umwelt in seine Pläne miteinzubeziehen. Wer zu sehr auf die Wünsche der anderen achtet, muss lernen die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und anderen gegenüber auf eine konstruktive Weise zu verteidigen. Die Mitte zwischen Egoismus und Selbstaufgabe ist Selbstbewusstsein: ich kann langfristig nur glücklich werden und gesund bleiben, wenn ich meine eigenen Bedürfnisse und die meiner wichtigen Umwelt berücksichtige und einen guten Mittelweg finde. Das geht, ist aber nicht so einfach hinzukriegen, sonst bräuchte man ja keine Therapie. Und die Phase dieser Neu-Einstellung ist halt nicht immer konfliktfrei. Das sollte ein Patient vorher wissen, damit er vorbereitet ist und Probleme frühzeitig in der Therapie anspricht statt sie abzubrechen, weil die Konflikte nun mal vorübergehend größer werden können.

Herr A. schildert mir dann seine Symptome, d.h. die Gründe warum er zur Therapie kommt. Seit vielen Monaten schläft er schlecht, grübelt beim Einschlafen und wacht nachts immer wieder auf. Tagsüber fühlt er sich ausgelaugt und erschöpft. Es gibt kaum noch Aktivitäten, die ihm Spaß machen oder auf die er sich freut. Das Leben ist eine Last geworden und der einzige Grund, warum er sich noch nicht umgebracht hat, ist der, dass er seine Angehörigen davor bewahren will, mit der Schande eines Suizids in der Familie leben zu müssen.

Aus meiner Therapieausbildung, wo man auch in Gruppen an Selbsterfahrungsseminaren teilnimmt, weiß ich, wie viel Mut es erfordert, über eigene Probleme, die meist als eigenes Versagen erlebt werden, zu sprechen. Ich kläre den Patienten daher kurz darüber auf, dass Depressionen eine Erkankung sind. Wie ein Beinbruch kann eine Depression verschiedene Ursachen haben: ein kleiner Anteil ist genetisch bedingt (so bekommen manche auch bei starker Belastung keine Depressionen oder Brüche, weil sie stabile Knochen bzw. eine sogenannte resiliente (d.h. widerstandsfähige) Psyche haben), ein anderer wichtiger Faktor sind die Lebensbedingungen (wer einen ungesunden Lebensstil hat und zu viel Cola trinkt (Kalziumräuber) oder sich unausgewogen ernährt sorgt für einen beschleunigten Alterungsprozess und destabilisert seine Knochen; wer sich nicht die Zeit für Erholung nimmt, schädigt durch chronisch erhöhte Stresshormone sein Gehirn (durch zu hohe Werte des Stresshormons Cortisol wird die Nervenzellbildung im Gehirn blockiert, wodurch Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme entstehen)), der dritte Faktor ist Erfahrung und daraus resultierende Verhaltensschemata (wer Action braucht wird risokofreudiger und fährt lieber abseits der freigegebenen Pisten, was die Chance auf Beinbrüche erhöht; wer gelernt hat, seinen Wert von Leistung abhängig zu machen wird unter inhumanen Bedingungen immer mehr Leistung bringen ohne auf seinen Akku zu achten und psychisch irgendwann leer laufen), der vierte Faktor ist eine gewisse Portion Pech, dass alle Faktoren nun zur Erkrankung geführt haben und die anderen Faktoren sind noch unbekannt...

Im Laufe der folgenden Stunden werden wir ein indivduelles Krankheitsmodell erstellen, um die Entstehung der Erkankung besser zu verstehen und darauf abgestimmt dann Gegenmaßnahmen zu entwickeln.



...Fortsetzung folgt...




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